Lauterbacher Anzeiger vom 24.08.2019:
Sommer, Sonne, Dorfplatz: Für ihren Sommerempfang im Biergarten der Gaststätte „Zur Mühle“ in Rimlos hätte sich die Vogelsberger SPD keinen besseren Abend aussuchen können. Ein lauer Sommerabend erwartete die rund 80 Genossen aus dem Vogelsberg, unter die sich auch einige Vertreter der politischen Mitbewerber von Grünen, FDP und CDU mischten, darunter auch Lauterbachs Bürgermeister Rainer-Hans Vollmöller. Im Mittelpunkt des Abends, der dieses Jahr „politisch offener gestaltet werden sollte“, wie SPD-Kreisvorsitzender Patrick Krug eingangs betonte, stand ein rund einstündiger Vortrag des „Dorfpapstes“, Professor Dr. Gerhard Henkel, zum Thema „Rettet das Dorf – was jetzt zu tun ist“. Ein Thema, das über alle Parteigrenzen hinweg Relevanz für eine ländliche Region wie den Vogelsberg hat.
Henkel, der auch zahlreiche Bücher zu diesem Thema verfasst hat, welche teilweise zum Verkauf angeboten wurden, hielt an diesem Abend ein leidenschaftliches Plädoyer für die Kraft und die Perspektive des ländlichen Raumes, die durch seine Bewohner erschaffen wird und weiter erschaffen werden muss. Aber auch die Gefahren des demografischen Wandels auf die ländlichen Gemeinschaften sparte Henkel nicht aus. Vereinzelten Forderungen, ganze Dörfer in strukturschwachen Regionen aufzugeben, erteilte der Humangeograf aus der Region Paderborn eine deutliche Absage, womit er bei seinem Publikum auf ungeteilte Zustimmung stieß. Das Credo des Abends, das auch Vorsitzender Krug in seiner Begrüßung betonte, lautete: „Es lohnt sich, sich für den ländlichen Raum einzusetzen.“ Immerhin sei der Vogelsbergkreis mit seinen rund 73 Einwohnern pro Quadratkilometer und seinen 181 Dörfern ein Musterbeispiel für eine ländliche Region – der es überdies gelinge, dem demografischen Wandel statt schicksalsergeben entgegenzusehen, handlungsstark entgegenzutreten, was man auch daran erkenne, dass derzeit der Zuzug in den Kreis größer sei, als die Abwanderung.
Die zentrale Frage, die Henkel aufwarf, lautete: „Wo entscheidet sich die Zukunft des Dorfes?“ Seine wenig überraschende Antwort: „Im Dorf selber“. Der Wissenschaftler würdigte dabei auch die positiven Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte. „Es gibt boomende Dorfregionen. Die Bevölkerung im Dorf ist heute meist wohlhabender und weltoffener als früher.“ Die Zeit tiefgreifender gesellschaftlicher Spaltungen, etwa zwischen evangelisch und katholisch, sei „fast vorbei“, betonte er weiter. Im „Auftanken und Mitmachen“ verortete er die „Kraft der Dörfer“. Gleichzeitig finde in manchen Regionen aber auch ein „negativer Wandel“ statt. Die Dörfer seien leerer geworden und mancherorts herrsche ein „Teufelskreis aus realen Bevölkerungsverlusten und schlechter Stimmung“ vor.
Um fit für die Zukunft zu sein, dürften die ländlichen Gemeinden aber auch nicht „von oben“ vernachlässigt werden. Es gelte, die Menschen vor Ort positiv zu mobilisieren, sich für ihre Belange in ihren Ortschaften einzusetzen. Welcher Weg dabei konkret zu gehen sei, da müsse jede Gemeinde „für sich Lösungen finden“ und sich „individuell selber retten. Und das geschieht schon vieler Orts – auch im Vogelsberg.“ Träger dieser Entwicklung seien meist die traditionellen Vereine, die er als „deutsches Erfolgsmodell einer zivilen Gesellschaftsorganisation“ sieht, und als „wichtigste Kulturträger im Dorf“. Auch hier machte er einen gesellschaftlichen Wandel aus: Einerseits klagten Vereine oft über schwindendes Engagement der Mitglieder und Mitgliederschwund generell, oft auch bedingt durch geändertes Freizeitverhalten und berufliche Belastungen, andererseits erlebe er aber auch das Entstehen neuer Vereinsstrukturen durch sogenannte Bürgervereine, die sich spezieller demografischer Probleme im Dorf beziehungsweise der Rettung wichtiger Institutionen, etwa der Gaststätte oder des Dorfladens, annähmen.
Im Vogelsberg sind dies etwa die Nachbarschaftshilfe Lautertal, die Owelabbe“ in Wallenrod oder der Dorfverein in Helpershain. Henkel hatte kein Problem, diverse Beispiele auch aus seiner Heimatregion aufzuzählen. Wichtig sei, ein neues Gefühl von Heimatverbundenheit mit dem Dorf“ zu schaffen, damit junge Menschen, die „aus verständlichen Gründen, sei es der Beruf oder der Wunsch nach Horizonterweiterung“, das Dorf verlassen, auch wieder zurückkommen wollen. Die Schaffung funktionierender Treffpunkte für Jung und Alt, die Schaffung oder Bewahrung einer „Anerkennungskultur“ für ehrenamtliches Engagement und das Leitbild einer „Bürgerkommune“, in der die Belange der Dorfbewohner erfragt und ernstgenommen werden und in der diese in die Gestaltung der Kommune eingebunden werden, seien die wichtigsten Zutaten, um die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft anzugehen. „Wir brauchen eine Kultur des warmherzigen und des respektvollen Umgangs mit- und untereinander“, fasst Professor Henkel die Basis für ein gelingendes Dorfleben zusammen.
Dem hatten auch die Genossen nichts mehr hinzuzufügen. Offene Diskussionen im Anschluss an den Vortrag fanden nicht statt. Aber Henkel stand für weitergehende Gespräche noch eine Weile zur Verfügung, signierte bei Bedarf Exemplare seiner Bücher und freute sich über das Präsent der SPD – Vogelsberger Wurst und Schlitzer Schnaps. SPD-Vorsitzender Krug zog jedenfalls eine positive Bilanz des politischen Sommerabends. „Gerhard Henkel hat viele gute Beispiele dafür genannt, wo und wie man aktiv werden kann und dass es sich lohnt, sich für das Dorf einzusetzen, ohne dabei die Herausforderungen kleinzureden“, so Krug.